Ein "Game of Thrones"-Konkurrent von Amazon.
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„Drei Ringe den Elbenkönigen hoch im Licht. Sieben den Zwergenherrschern in ihren Hallen aus Stein. Den Sterblichen, ewig dem Tode verfallen, neun. Einer dem Dunklen Herrn auf dunklem Thron im Lande Mordor, wo die Schatten drohn. Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkle zu treiben und ewig zu binden.“
So lauten die ersten Zeilen im ersten Band des Fantasy-Meisterwerks „Der Herr der Ringe„. Dass aus diesem Absatz viele Jahre später eine der teuersten Serienproduktionen aller Zeiten werden sollte, hätte wohl selbst der Autor, J.R.R. Tolkien, nicht gedacht. Ob der Amazon-Chef Jeff Bazos sein Geld auch wirklich gut investiert hat, erfahrt ihr bei uns in der Serienkritik von Herr der Ringe: Die Ringe der Macht.
Als Amazon bekanntgab, dass sie sich die Rechte an der Büchertrilogie und dem Hobbit gesichert haben, waren einige durchaus skeptisch. So soll sich der Amazon-Chef nach dem gewaltigen Erfolg von Game of Thrones eine Serie gewünscht haben, die mithalten kann. Denn das Versandhaus, das erst seit kurzem den Streamingmarkt eroberte, hatte sich noch nicht mit besonders aufsehenerregenden Produktion hervorgetan. Und dann wollte das Unternehmen gleich die bekannteste und erfolgreichste Fantasy-Marke aller Zeiten umsetzen? Langzeitfans befürchteten schlimmes.
Doch spätestens wenn der kinoreife Vorspann der ersten Folge über die Bildschirme flitzt, können Fans der Bücher ruhig aufatmen. Marktorientiertes Konkurrenzdenken hat zwar die Serie ins Leben gerufen (so wie im Grunde bei jeder anderen Produktion auch). Amazon hat indes nach ihren großen Tönen auch Taten folgen lassen. Die Serie versucht gar nicht erst das neue Game of Thrones zu sein, trotz der nahezu gleichzeitigen Veröffentlichung zum GoT-Spin-Off House of the Dragons. Vielmehr ist den Showrunnern durchaus bewusst, dass Tolkien nicht George R.R. Martin ist. Die erste Staffel versucht nicht den Genreklischees von „modernen“ Fantasyproduktionen zu entsprechen. Sexszenen und großartige Gewaltexzesse sind nicht vorhanden. Vielmehr liefert sie Themen, die sich bereits in der ,,Peter Jackson“-Trilogie und natürlich den Büchern, finden lassen.
Nämlich im 2. Zeitalter von Mittelerde, als die Menschen noch nicht so weit verbreitet waren und Hobbits aus dem Auenland noch gar nicht existierten. Sauron hält sich verdeckt und Mordor ist grün blühend bewaldet. Die Helden der Serie sind fantastische Wesen, die keine Parallelen zur echten Welt aufweisen können. Ihre Aussagen sind blumig und jeder Satz könnte genau so gut im Versmaß geschrieben sein. Die Handlung der ersten Staffel setzt dabei viele Jahrhunderte vor den bisherigen Filmadaptionen an. Tolkien-typisch, haben wir auch in Herr der Ringe: Die Ringe der Macht immer das Gefühl, dass am Ende alles gut gehen wird. Charaktere wie das Harfußmädchen Nori sind liebenswert und inständig gut. Sie sind in hilfsbereite Gemeinschaften eingebunden und Freundschaft und Zusammenhalt steht ihnen über allem.
Große Intrigen und Antihelden wie Tyrion oder gar Jon Snow wären Fehl am Platz. Auch wenn die Charakterisierung der Figuren dadurch etwas flach bleibt. Tiefer als simples Schwarz/Weiß-Denken gibt es nur in den wenigsten Fällen. Die Serie versucht hier mehr Komplexität einzuführen, indem sie die Grenzen zwischen Gut und Böse vermischt. Galadriel zapft schon mal die Dunkelheit an und nicht alles was Ork ist, ist gleichzeitig auch inhärent böse. Der Serie gelingt dies aber nur teilweise, weil sie diese Konzepte schnell wieder verwirft, weil Orks nun mal besser als gesichtsloses Kanonenfutter funktionieren.
Dennoch stechen einige Charaktere heraus. Vor allem der Erbprinz der Zwergenstadt Moria, Durin IV und dessen Frau Disa, sind Highlights der Serie. Durch seine Freundschaft zum Halbelben Elrond muss der stürmische Prinz sogar die Beziehung zu seinem Vater hinterfragen. Auch Elendil, dessen Schwert irgendwann in der Zukunft Sauron zu Fall bringen soll, kann durchwegs überzeugen. Die zerstückelten Storylines der einzelnen Charaktere machen es indes schwierig, sich lange für eine Figur zu begeistern. Während manche Charaktere in ganzen Folgen gar nicht vorkommen, wechselt die Serie oft schnell zwischen unterschiedlichen Regionen von Mittelerde hin und her. Die Handlung verliert an Tempo, noch bevor sie wirklich Fahrt aufnehmen kann. Zusätzlich nimmt sich die erste Hälfte der Serie sehr viel Zeit, um die Welt des Zweiten Zeitalters in all ihrer Ausführlichkeit zu beschreiben. Handlungsrelevanz wird dem Worldbuilding geopfert. Das dürfte nicht für jeden etwas sein.
Wo Herr der Ringe: Die Ringe der Macht hingegen uneingeschränkt punktet, ist die atemberaubende Optik. Mit Amazon als Geldgeber scheint der kreativen Entfaltung kaum Grenzen gesetzt zu sein. Die Serie ist eine der teuersten Produktionen aller Zeiten und das spürt man hinter jeder Ecke. Seien es die atmosphärisch beleuchteten Umgebungen, die in satten Farben erstrahlen und so auf jede Mittelerde-Postkarte gedruckt werden könnten. Die belebten Sets, bei denen oft nicht erkannt werden kann, wo das gebasteltes Bühnenbild aufhört und Real-Life-Neuseeland beginnt. Oder die atemberaubenden CGI-Effekte, die trotz einer zunehmend überforderten Industrie, hier mit jeder neuen Elbenwelt oder Zwergenstadt realistischer denn je wirken. Jeff Bezos hat Geld und Zeit springen lassen und das merkt man auch.
Die Kostüme sind ausfallend, detailliert und hochwertig. Die Schlachtsequenzen aufregend und bis zum letzten Hintergrundcharakter durchchoreografiert. Selbst Orte, die nur kurz vorkommen, wirken nicht wie schnell zusammengeschusterte Monster aus Set und VFX. Jede Sekunde der Serie ist liebevoll gestaltet und liefert eine realistische Version von Mittelerde, die besser als so mancher Kinofilm aussieht.
Wie eingangs in der Kritik erwähnt, waren Fans der Bücher kritisch, als Amazon ihre Pläne offenbarte. Dass der Techriese aber keine halbherzige Aufwärmkost im Sinn hatte, dürfte selbst den passioniertesten Tolkien-Nerds schnell klar sein. Die Serie sieht hochwertiger aus, als alles, was dieses Jahr über die Bildschirm lief. Wo sich Fans der Bücher hingegen bestätigt sehen können, ist in der Tiefe der Charaktere und Handlung. Sie Story kommt nicht richtig in Gang und plätschert einige Folgen vor sich hin. Welten werden eingeführt und bis ins kleinste Detail erkundet. Charaktere bleiben hingegen oftmals einfärbig und blass.
Selbst die Hauptmotivation der Protagonistin Galadriel geht nicht über das Bekämpfen des Bösen hinaus. Auch wenn hier und da versucht wird dem ältesten Konflikt der Welt mehr Grautöne zu verleihen, bleibt er weitestgehend Schwarz und Weiß. Doch genau darin liegt meines Erachtens auch eine Stärke der Serie. Während Fantasywelten immer realistischer wurden und Heldenfiguren vielschichtig und grauschattiert werden, besinnt sich Die Ringe der Macht dem Ursprungsmaterial. Als Orks noch böse waren und am Ende noch immer alles gut gegangen ist. Während in Game of Thrones eine blutige Hochzeit nach der anderen kommt, lässt sich in Mittelerde der Tag nur gewinnen, wenn man auf seine Freunde vertraut. Eine Botschaft, die gerade heutzutage erfrischend und willkommen wirkt.