Spider-Man: Across the Spider-Verse – Filmkritik

Kann Spider-Man: Across the Spider-Verse die Erwartungen erfüllen, die der Oscar-prämierte Vorgänger aufstellte?

Miles Morales als Spider-Man - (C) Columbia Pictures’ und Sony Pictures Animations - CTMG, Inc. All Rights Reserved

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Das Wichtigste in Kürze

  • Überwältigend schöne Animationen
  • Spaßige Action mit Herz und Seele
  • Unvollständiges Ende und unverständliche Tonabmischung

Als Spider-Man: Into the Spider-Verse 2018 in die Kinos kam, waren wir uns nicht sicher, ob wir den Animationsfilm wirklich gebraucht hätten. Erst im Jahr davor feierte Tom Holland, der mittlerweile dritte Spinnenmann in nur 10 Jahren, sein Solo-Debut im MCU. Und Stimmen wurden laut, ob das nicht genug wäre, selbst wenn diesmal nicht Peter Parker, sondern der schwarz-hispanische Teenager Miles Morales im Vordergrund stand. Ein moderner Superheld, der erst einige Jahre zuvor auf den Seiten von Ultimate Fallout 4# seinen Erstauftritt hatte.

Doch auch wenn die Beteiligung der beiden Kreativen Phil Miller und Chris Lord, die bereits mit The Lego Movie und 21/21 Jump Street zeigten, was so konnten, das Interesse schürten, beruhigten sich Außenstehende damit, dass der Film am Ende des Tages „nur“ ein Animationsfilm war. Nicht unbedingt die Art von Film, die in der Superheldenlandschaft von 2018 einen bleibenden Eindruck hinterlassen könnte. Immerhin erschien im selben Jahr auch der erste Teil des abschließenden Superhelden-Epos, Avengers: Infinity War, auf den alle Augen gerichtet waren. Doch ein Frame des Films, geschweige denn mehrere Sekunden in Bewegung, reichten, um alle Zweifler an Into the Spider-Verse augenblicklich verstummen zu lassen.

Mit seinem cleveren Drehbuch, das sicher zwischen lauthalslachender Komödie, coming-of-age Drama und Multiverse-Spektakel hin- und herschwankte und dem genre-veränderten Animationsstil, galt der Film schon bald als einer der besten Superheldenfilme aller Zeiten. Neben einem Oscar als Bester Animationsfilm, konnte der Ruf des Film in den Jahren danach nur noch steigen. So ist der Einfluss von Into the Spider-Verse überall zu spüren. Sei es der oft imitierte, nachgezeichnete Animationsstil in Filme wie Teenage Mutant Ninja Turtles: Mutant Mayhem,  Der Gestiefelte Kater: Der letzte Wunsch, oder The Bad Guys.

Oder das Storytelling, das die spannenden Facetten des Multiversums einem größeren Publikum zugänglich machte. Nicht umsonst hat das MCU derzeit alle Segel in Richtung Multiversum gesetzt. Ein Film wie No Way Home wäre dabei nicht möglich gewesen, ohne dass sein animierter Vorgänger zuerst ein Vokabular erzeugte, aus dem sich nun ausgiebig bedient werden kann. Und auch in der allgemeineren Filmwelt scheint der Trend angekommen zu sein. Fünf Jahre später, ist die Welt also eine andere. Eine größere und eine, in der mehr möglich ist. Mit Across the Spider-Verse schlägt der Animations-Zweiteiler nun genau in die selbe Kerbe, die sich sein Vorgänger vor all den Jahren selbstständig geschaffen hat. Und beweist erneut, dass alle anderen multiversalen Abenteuer zwar durchaus ihren Reiz haben, vom Genrestandart aber um Längen entfernt sind.

Pinselstrich und Rock Musik

Bevor auch nur etwas anderes an Spider-Man: Into the Spider-Verse besprochen werden kann, muss zunächst auf den einzigartigen Animationsstil aufmerksam gemacht werden. Immerhin ist es das erste, was einem Zuseher in die Augen springt. Und vermutlich sind es auch die bunten, ausgefallenen und ambitionierten Bilder, die staunende Augen als zuletzt auch wieder verlassen.

Kurz gesagt: Der Film ist ein Kunstwerk in Bewegtbildformat. Schon sein Vorgänger wusste gekonnt mit dem Ursprungsmaterial der Comics zu spielen und Miles Morales Welt in ein kunterbuntes Schüttbild aus stilsicher schraffierten Kanten, Kirby-Dots und Sprechblasen zu verwandeln. Darüber hinaus hatte jeder multiversale Charakter den distinktiven Look des Universum, aus dem er entstammte. Der düstere Spider-Noir war in schwarz-weißes Film Noir getaucht. Penny Parker einem locker gezeichneten Manga entsprungen. Und Peter Porkers Spider-Ham eine cartoon-ähnliche Karriktur.

Across the Spider-Verse setzt noch einmal einen drauf! Jede Einstellung und Sequenz der Fortsetzung ist eine Antwort an die Fülle an Mitstreitern, die in den letzten Jahren versucht haben, den Stil des Vorgängers zu imitieren. ,,Wir wissen euren Einsatz zu schätzen, aber so wird es richtig gemacht“, schreit jeder kunterbunter Frame mit neonfarbenem Widerhall. Jede Szene offenbart uns logisch, warum die Fortsetzung fünf Jahre gebraucht hat und von Verzögerungen geplagt war.

Egal ob es die diversen alternativen Spider-Men und Welten sind, oder die dynamisch inszenierten Actionsequenzen. Across the Spider-Verse erlaubt sich in allen Belangen mehr Ambition und wirkt teilweise so, als ob die eigenen Szenen in direkter Konkurrenz zueinander stehen. Sich selbst an Kreativität und Schönheit übertrumpfen wollen. Ob es das comic-hafte New York von Miles Morales ist. Die mit Wasserfarben abstrahierte und an die alternativen Cover ihrer Solo-Reihe angelehnte Welt von Gwen Stacey. Oder der rockige Spider-Punk, der in knallbuntem Graffiti, an die Londoner Punk-Szene der 1960er erinnert. Der Film liefert so viele aufregende Eindrücke, dass vieles davon beim ersten Mal fast schon erdrückend wirken kann. Und doch bleibt er eine Augenweide und kein Blendwerk. Viele Reize, die jedoch nie überfluten. Denn trotz der bildhübschen Optik, wird sie nie über die Substanz gestellt.

In diesem Multiversum Spinnen alle

Anders als erwartet, beginn Across the Spider-Verse nicht da, wo Into the Spider-Verse geendet hat. Zunächst jedenfalls nicht. Denn fürs erste führt uns ein erweiterten Prolog in die aquarellierte Welt von Spider-Woman, alias Gwen Stacey (Hailiee Steinfeld). Die Superheldin avanciert dabei zur inoffiziellen zweiten Protagonistin des Film, die nach dem Tod ihres besten Freundes mit der angeknacksten Beziehung zu ihrem Vater kämpfen muss. Die im Vorgänger eher zweitrangige potentielle Liebesbeziehung, wird so um eine weitere Facette ergänzt und zur helfenden Parallele von Miles Morales (Shameik Moore) selbst. Plus, ihr vom Komponisten Daniel Pemberton geschaffenes Leitmotif, ließe sich gut auf jedem professionellen Pop-Album unterbringen.

Miles kann hingegen jede Unterstützung gut gebrauchen. Nach den Ereignissen von Into the Spider-Verse hat der junge Spider-Man Hilfe bitter nötig. Denn auch ein Miles Morales ist vom Parker-Glück nicht gefeit und muss, wie sein toter Vorgänger, sein Schul- und Familienleben, sowie das Verbrecherkloppen, unter eine Maske bringen. Ein neuer Bösewicht, der an die Regeneratoren aus Resident Evil 4 erinnernde The Spot (Jason Schwartzman), tritt auch schon auf. The Spot schaukelt sich dabei vom skurrilen Comic-Bösewicht gemächlich vom lächerlichen, zum furchteinflößenden Nemesis hoch.

Der schwarz-weiße Villain, der im zweiten Teil der Trilogie noch weitestgehend farblos bleibt, ist indes nur Ausgangspunkt, für die Multiversums umspannende Weltreise. Und während der Vorgänger im Vergleich recht „harmlos“ im Umgang mit dem Multiversum war, stürzt sich Across the Spider-Verse von einem Wolkenkratzer aus, mit dem Kopf voran, die Gefahren begrüßend, hinein. Was in Spider-Man: No Way Home und Doctor Strange in the Multiverse of Madness rückblickend nur als „an der Oberfläche kratzen“ bezeichnet werden kann, ist in Across the Spider-Verse ein kompletter Durchbruch.

Aufzuzählen, wie viele unterschiedliche Spinnenmenschen in der überwachenden Spider Society zu finden sind, wäre eine unmöglich Aufgabe. Auch wenn sich zahlreiche YouTube-Kanäle in den kommenden Monat daran versuchen werden. Doch alle die Querverweise zu Sony-Eigentum und Easter Eggs, wirken nicht so aufgesetzt, wie vermutet werden sollte (und andere, ähnliche Filme der Vergangenheit bewiesen haben). Vielmehr hat sich bereits Into the Spider-Verse ein Reservoir geschaffen, aus dem „Across“ jetzt freizügig schöpfen kann. Nicht um irgendeine Fan-Gemeinde zu begeistern (naja, nicht nur), sondern auch um den Kernkonflikt des Films besser zu veranschaulichen.

Denn wie bereits der Trailer verrät, muss sich Miles mit dem Umstand abfinden, dass sich im umfassenden Multiversum nicht alle liebgewonnenen Menschen retten lassen. Selbst wenn er noch so verantwortungsbewusst ist, reichen manche Kräfte nicht aus. Das Multiversum wird zur Versinnbildlichung all jener Spinnenmänner (und Frauen und Dinos und Avatare und und und….), die sich bereits mit dieser Wahrheit abgefunden haben. Darunter auch der futuristische Spider-Man 2099, Miguel O’Hara (Oscar Isaac), der eine Bedrohung verkörpert, die sich nicht zu leicht verdauen lässt. Doch ein „Spider-Man“-Film wäre kein „Spider-Man“-Film, wenn Spider-Man nicht vor moralische, emotionale und actiongeladene Prüfungen gestellt wäre. Und ähnlich wie sein Vorgänger, schafft Across the Spider-Verse diesen Spagat in luftiger Höhe, mit rasanten Netzschwüngen und Bravour. Genau so sind Miles und Gwen nachvollziehbar und nahbar. Ihr konträren Einstellungen erzeugen einen Konflikt, der uns keine Seite ergreifen lässt, weil beide Recht haben. Denn trotz ihrer arachnoiden Fähigkeiten, kommt ihre Menschlichkeit nicht zu knapp. Und genau das ist der Kern der besten „Spider-Man“-Geschichten.

Spider-Man: Across the Spider-Verse – Fazit

Spider-Man: Across the Spider-Verse ist ein actiongeladenes, kreatives und emotionales Animationsmeisterwerk, das in einer Liga für sich alleine spielt. Kaum ein anderer Film verfügt über so einen innovativen Animationsstil, der seine Kreativität immer der Handlungsrelevanz unterordnet. Natürlich kann angemerkt werden, dass teilweise so viel auf der Leinwand passiert, dass es müde Augen überfordern könnte. Ein Umstand, der jedoch spätestens nach dem darauffolgenden Panorama oder emotionalem Charakter-Moment wieder aufgebessert und vergessen ist.

Anders verhält es sich jedoch bei der Tonabmischung, die an einigen Stellen vom lauten Audiodesign und der schieren Sinnesexplosion verschluckt wird. So mancher Dialog geht dadurch in den wildesten Sequenzen verloren. Ein Problem, das indes schon den Vorgänger plagte. Es muss auch angemerkt werden, dass Across the Spider-Verse ganz klar als Baustein einer mehrteiligen Geschichte gedacht ist. Dementsprechend endet er an einer wirklich gemeinen Stelle, kurz vor dem Klimax. Ein Problem, das durch die im März 2024 startende Fortsetzung, Beyond the Spider-Verse, ausgemerzt wird und für Comic-Hefte nicht unüblich ist, aber zunächst einen sauren Beigeschmack hinterlässt.

So endet der Film, bevor der finale Kampf beginnt und verliert so einiges an klimatischem Potential. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass jener Konflikt bereits zu Beginn der Fortsetzung aufgelöst wird, wodurch die auf dem Spiel stehenden Einsätze abgeschwächt werden. Doch das ist Kritik auf einem überaus hohen Niveu. Denn die Fortsetzung ist ein Animationsfilm, wie es ihn nur selten gibt. Eine Fortsetzung, die alles größer und bunter als ihr Vorgänger macht. Across the Spider-Verse ist dadurch nichts geringeres als sein Vorgänger. Die höchste Ehrung, die der Nachfolger eines der besten Superheldenfilme aller Zeiten, erhalten kann.

ReviewWertung

9SCORE

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