Senua's Saga Hellblade 2 ist ein Kinoreif inszeniertes Spiel, welches jedoch erzählerisch und vom Gameplay zu wünschen übrig lässt.
Tim Rantzau: Tim ist nicht nur seit Kindheitstagen ein großer Nintendo-Fan, er hat auch Game Design studiert und kümmert sich beruflich um das Konzeptionieren von Videospielen. Sein Spezialgebiet ist aber der Spiele-Journalismus.
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Ohne viel Aufsehen wurde der Nachfolger des Überraschungserfolgs Hellblade: Senua’s Sacrifice herausgebracht. Doch dieser Titel verdient mehr Aufmerksamkeit, denn Ninja Theory setzt mit Senua’s Saga: Hellblade 2 – insbesondere in audiovisueller Hinsicht – neue Standards im Gaming-Bereich. Allerdings scheint man eine fesselnde Geschichte und ein motivierendes Gameplay außer Acht gelassen zu haben.
Hellblade pulsiert mit einem Indie-Geist, der sich auf das Erlebnis und die Veränderung der Perspektive konzentriert, anstatt auf äußerst präzise Mechaniken in einem Retro-Gewand. Das Spiel lehnt fast trotzig jegliche Progressionsmechanismen, Machtphantasien und Belohnungszyklen ab, die das moderne Triple-A-Gaming so eintönig gestalten. Getrieben wird es allein von der Vision einer fließend inszenierten Erzählung, die aus einer Perspektive erzählt wird, die sich nur schwer nachempfinden lässt. Es ist eine Art “Kunst”-Spiel, über das sich die sonst so uneinigen Fraktionen der Blockbuster-Enthusiasten und Spieldesign-Puristen endlich einig sind.
Wenn man die üblichen Kategorien einmal beiseite lässt, muss man Hellblade 2 vor allem für eines loben: den Mut, seine Vision nicht zu kompromittieren. Es ist wahrscheinlich das unkommerziellste große Videospiel der letzten Jahre: unbequem, beunruhigend und zermürbend. Dass es grünes Licht bekam, grenzt an ein kleines Wunder. Das ist also die Einleitung: Entweder ihr könnt Hellblade 2 so akzeptieren, wie es ist, und euch auf das Erlebnis einlassen, oder nicht. Das Spiel scheint es nicht übelzunehmen, wenn ihr “nein, danke” sagt. Aber ein wenig Höflichkeit, es nicht für das zu kritisieren, was es nicht ist, hat es verdient: Es ist kein God of War in Xbox-Grün, sondern ein achtstündiges narratives Spiel mit konkurrenzloser filmreifer Grafik für 50 Euro. Lasst uns also einen konstruktiveren Ansatz wählen.
Obwohl die genaue Zeitspanne seit dem ersten Teil unklar bleibt, scheint die Geschichte direkt daran anzuknüpfen. Senua, die sich im ersten Teil mit den Stimmen in ihrem Kopf und dem Verlust ihres Geliebten abgefunden hat, ist nun entschlossen, andere vor dem gleichen Schicksal zu bewahren. Sie beschließt, dem Sklavenhandel der Nordmänner ein Ende zu setzen. Um näher an ihre Feinde heranzukommen, lässt sie sich bei einem Überfall gefangen nehmen. Ein Sturm lässt das Schiff der Sklavenhändler auf dem Weg nach Island kentern, was Senua fast das Leben kostet, ihr aber die Flucht aus der Gefangenschaft ermöglicht.
In der Folge durchstreift sie die teils lebensfeindliche, teils raue und schöne Landschaft der fotorealistisch dargestellten Vulkaninsel, trifft auf neue Gegner und Verbündete und deckt die Wahrheit hinter den Wikingerangriffen auf. Dazwischen gibt es immer wieder Nahkampfduelle mit Nordmännern und andere Gefahren sowie Rätsel in der Umgebung. Die Kämpfe sind stark vereinfacht und beschränken sich auf leichte und schwere Schläge, rechtzeitiges Parieren und Ausweichen, wenn ein Angriff unvermeidlich ist. Positiv hervorzuheben ist, dass durch Ausweichen und Blocken auch Angriffe unterbrochen werden können, was den Kämpfen ein direktes Gefühl verleiht.
Die Kämpfe in Senua’s Saga: Hellblade 2 folgen jedoch einem ähnlichen Muster, und sobald man das Timing für die Abwehr beherrscht, wird es weniger herausfordernd. Es gibt keine Gesundheitsanzeigen, und ich bin so selten gestorben, dass ich mir nicht sicher war, ob es in bestimmten Kampfsituationen überhaupt möglich war, zu sterben. Der Verzicht auf Anzeigen, Ausdauer oder Gesundheitsmanagement deutet darauf hin, dass es vor allem darum geht, den Spieler in möglichst intensive und blutige Kämpfe zu verwickeln. Dabei geht es nicht nur um das Kämpfen, sondern auch darum, die erschütternde Gesamtszenerie zu erfassen, sei es während eines tobenden Sturms, der die Sinne betäubt, oder während andere Menschen um ihr Leben kämpfen.
In den Rätseln des Spiels geht es hauptsächlich darum, die Landschaft zu verändern, indem man mit magischen Kugeln interagiert, um sich einen Weg durch die Szenen zu bahnen. Diese Aufgaben sind bewusst einfach gehalten, visuell beeindruckend und erfordern nur minimales Ausprobieren. Auch die bekannten Perspektivrätsel, bei denen man scheinbar unzusammenhängende Objekte aus einem bestimmten Winkel betrachten muss, um sie zu einer Rune zu formen, sind wieder mit von der Partie. Auch diese stellen kaum eine Herausforderung dar, aber es macht Spaß, die wunderschön inszenierte Welt mit ihren beeindruckenden Steinen aus allen Blickwinkeln zu betrachten. Das Spiel ist so konzipiert, dass nichts den Spielfluss stört oder behindert – und das ist bei dieser Art von Spiel auch gut so. Es geht nicht darum, Herausforderungen zu meistern oder physische Grenzen zu überwinden, sondern um das Erlebnis an sich.
Alles in diesem Spiel dient dazu, diese Erfahrung zu unterstützen: Es gibt kein HUD und keine Tastenanzeigen – absolut keine. Das Spiel wirkt wie aus einem Guss und es gibt keine Ladezeiten. Ninja Theory gestaltet die Kapitelübergänge als Zeitrafferaufnahmen der Insel, die einem regelmäßig die Sprache verschlagen und den Nutzer filmisch in die Geschichte hineinziehen. Es ist der perfekte Transport in eine fremde Welt, die oft, aber nicht immer, feindlich ist. Dabei spielt das Spiel ständig mit der Wahrnehmung des Spielers. Die Tricks, die Senua’s Saga: Hellblade 2 anwendet, sind so nahtlos und elegant in die Spielwelt integriert, dass sie mich staunen lassen. Der Entwickler versteht es meisterhaft, Magie und Realität so zu verschmelzen, dass man sich fragt, ob man noch bei Trost ist.
Das ist natürlich ein wesentlicher Teil des Spielerlebnisses, denn man erlebt diese Qualen – und oft genug ist es genau das – durch die Augen einer Frau, die sich entschieden hat, die Stimmen in ihrem Kopf zu akzeptieren, aber immer noch sehr darunter leidet. Die Stimmen sind spöttisch, kritisch, zweifelnd, ängstlich und haben selten ermutigende Worte für Senua. Es ist ein ständiger innerer Dialog. Dieses “Ich” scheint aus vielen Wesen zu bestehen, die von einem Moment zum anderen nicht wissen, was sie denken oder sagen sollen. Manchmal empfand ich das als wenig subtil und nicht besonders raffiniert, vor allem, wenn ich wiederholt auf offensichtliche Dinge hingewiesen wurde.
Zum Schluss noch ein kurzer Blick auf die Spieldauer: Schon Hellblade 1 war mit rund 8 Stunden kein Langzeitabenteuer, der zweite Teil ist noch kürzer. In unserem Test waren wir nach etwas mehr als 7 Stunden durch. Selbst wer sich mehr Zeit nimmt und die Umgebung intensiver erkundet, wird kaum wesentlich mehr Spielzeit herausholen können.
Es gibt zwar einige Sammelobjekte – wie Steingesichter, die bei näherer Betrachtung Wege zu blühenden Bäumen öffnen, und Säulen, die isländische Mythen erzählen – aber die Suche danach ist relativ kurzweilig. Nach Abschluss der Geschichte werden zusätzliche Erzählerstimmen freigeschaltet, die jedoch keinen großen Anreiz zum erneuten Spielen bieten. Trotz der relativ kurzen Spielzeit wirken einige Passagen unnötig in die Länge gezogen. Der Abstieg in eine Höhle auf der Suche nach einem versteckten Volk scheint endlos zu sein und es gibt Momente, in denen sich Senua durch enge Passagen zwängen muss, die schneller hätten gestaltet werden können.
Hellblade 2 setzt in Sachen grafischer Pracht neue Maßstäbe. Das Spiel ist ein visuelles Meisterwerk, das eindrucksvoll die Fähigkeiten der aktuellen Konsolengeneration zur Schau stellt. Wer bisher annahm, dass sich die neue Generation technisch kaum von der vorherigen abhebt, wird hier eines Besseren belehrt. Die Lichteffekte, Texturen, Gesichtsanimationen und die Darstellung der Kleidung erreichen ein Produktionsniveau, das den Betrachter staunen lässt. Während der Kämpfe sind sogar einzelne Schnittwunden auf den Gegnern sichtbar, und Senuas Kleidung bewegt sich lebensecht im Wind. Dank Fotogrammetrie erscheint die isländische Landschaft zuweilen so realistisch, als würde man durch ein echtes Foto wandern.
Die beeindruckende Optik von Senua’s Saga: Hellblade 2 ist der leistungsstarken Unreal Engine 5 zu verdanken, die auf dem PC oder der Xbox Serie X|S für atmosphärische, unheimliche und mystische Szenarien sorgt. Allerdings ist die Darstellung auf der Konsole auf maximal 30 Bilder pro Sekunde beschränkt.
Ninja Theory zeigt, dass Microsofts großes Studio-Netzwerk weiterhin gute Spiele machen kann. Besonders für Spieler, die auf eine dichte Atmosphäre und eine packende Geschichte Wert legen, ist das Spiel gut. Für Spieler, die das Gameplay wichtig finden, könnte Hellblade 2 nicht so gut sein. Sie könnten zehn oder mehr Punkte abziehen. Die Kämpfe sind vielleicht zu einfach und die Rätsel zu einfach zu lösen. Wer auf atemberaubende Grafik, Sound und Charaktere steht, sollte sich das Spiel ansehen. Es dauert sieben bis acht Stunden und ist trotz kleinerer Schwächen eine gut gemachte Reise in den Albtraum Islands.
Test-Hardware: Intel Core i7-13700KF, NVIDIA Geforce RTX 4080, 32 GB DDR5