Clair Obscur: Expedition 33: Vom Steampunk-Projekt zum französischen Kult-RPG

Warum Sandfall Interactive ihr ursprüngliches Konzept verwarf – und damit Erfolg hatte.

Clair Obscur: Expedition 33 (c) Sandfall Interactive
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    1. Bild von Eva Krumm

      Eva Krumm: Eva wünscht sich ein aufblasbares Einhorn, mit welchem sie dann nachts schnallige Werbespots anschauen kann. Ihr erstes eigenes Videospiel war Pokémon auf dem Game Boy. Zusammen mit ihrem Großvater machte sie zudem die Regenbogenstrecke in Mario Kart auf dem SNES unsicher. Ihre Lieblingsgenre sind JRPG, Otome und Horror und auch der Indie-Bereich ist ihr nicht fremd.

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Was heute als stimmungsvolles Belle-Époque-RPG begeistert, begann als komplett anderes Projekt: Das Team von Sandfall Interactive arbeitete ursprünglich an einem düsteren Steampunk-Abenteuer mit dem Arbeitstitel „We Lost“. Ein jetzt wiederentdeckter Konzept-Trailer aus dem Jahr 2019 zeigt eine Welt voller mechanischer Kreaturen, rauchender Industrieschornsteine im viktorianischen Stil und sogar futuristischer Alien-Elemente – ein krasser Kontrast zur malerischen Ästhetik des finalen Spiels.

Der entscheidende Wendepunkt für Clair Obscur: Expedition 33 kam überraschend während eines routinemäßigen Investor-Meetings. Creative Director Guillaume Broche erkannte plötzlich, dass sie mit ihrem Konzept nicht herausstachen. „Wir mussten mutiger sein“, erklärt Hauptautorin Jennifer Svedberg-Yen in einem Interview. Die Inspiration kam aus unerwarteten Quellen: Ein Gemälde, das Broche zufällig in einem Pariser Museum sah, sowie Svedberg-Yens eigene Kurzgeschichte über eine Künstlerin, die in ihre eigenen Gemälde eintaucht, wurden zur kreativen Zündschnur.

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Innerhalb weniger Wochen warf das Team monatelange Konzeptarbeit über Bord und begann neu – diesmal mit einem klaren Fokus auf französische Kultur. Die Belle-Époque-Ästhetik bot nicht nur visuell frische Möglichkeiten, sondern erlaubte auch thematische Tiefe. Wo das Steampunk-Setting noch auf Standard-Tropes setzte, konnte das neue Konzept künstlerische Eleganz mit gesellschaftlichen Umbrüchen verbinden. Selbst scheinbar kleine Details wie die Mode der Charaktere oder humorvolle Anspielungen auf Baguettes und Pantomimen wurden bewusst als kulturelle Marker eingesetzt.

Early draft trailer for the game
byu/Palmoleum inexpedition33

Warum die Veränderung richtig war

Interessanterweise blieben einige Kernelemente in Clair Obscur: Expedition 33 durch alle Veränderungen erhalten: Das strategische rundenbasierte Kampfsystem, Schlüsselcharaktere wie Lune und Maelle, sowie der starke Fokus auf narrative Tiefe. Doch erst die neue künstlerische Richtung verhalf diesen Elementen zur vollen Entfaltung. Die Entscheidung zahlte sich aus – das Spiel erhielt nicht nur begeisterte Kritiken, sondern sogar Anerkennung von höchster politischer Ebene: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lobte es als „leuchtendes Beispiel französischer Kreativität“.

Für die Spielebranche zeigt dieser Entwicklungsprozess zwei wertvolle Lektionen: Zum einen den Mut, selbst etablierte Konzepte nochmal grundsätzlich infrage zu stellen. Zum anderen die Kraft kultureller Authentizität – statt einem generischen Fantasy-Setting setzte Sandfall Interactive bewusst auf lokale Besonderheiten und schuf so ein unverwechselbares Spielerlebnis.

Was als JRPG-Inspiration mit westlichen Charakteren begann, wurde durch diesen radikalen Kurswechsel zu einem der innovativsten und visuell markantesten RPGs der letzten Jahre. Die Geschichte von Clair Obscur: Expedition 33 beweist: Manchmal lohnt es sich, alles noch einmal neu zu denken – selbst auf die Gefahr hin, Monate der Arbeit verwerfen zu müssen. Der Erfolg gibt dem Team recht – und bietet gleichzeitig eine faszinierende Fallstudie für kreative Prozesse in der Spieleentwicklung.

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